„Handylosigkeit“: Teil 1 & 2

Erlebte Geschichten

Teil 1: Wenn das Handy weg ist

Klitzekleine Sachen: ein Schlüssel, ein Geldbeutel, oder ein Handy. Kleine Sachen, auf die man nicht so einfach verzichten kann. Kleine Sachen, ohne die es große Lücken im Ablauf des Tages gäbe. Kleine Sachen, die man so oft bei sich trägt, dass sie fast zum Teil des Körpers werden; so wie man ahnt, in welcher Stellung seine eigenen Elbogen gerade sind, ahnt man, wo die kleinen Sachen an einem hängen: Der Schlüssel steckt in der rechten Hosentasche auf einem Haufen noch nicht weggeworfener Kassenbons; Der Geldbeutel liegt tief unten in der linken. Man ist sicher, dass sie da sind. Man ist davon überzeugt, dass sie immer da sein werden. Aber eines tages sind sie doch noch plötzlich weg!

Habt ihr schon eine kleine Sache verloren?

Es war mein erster Abend in Berlin. Es war ein sommerlicher Abend, heiß und schwül. Ich war eine Woche vor dem offiziellen Beginn meines Austauschprogramms dort angekommen. Ich befand mich in Neukölln mit seinen vielen Geschäften, die meinstens von Ausländern gesteuert und nie von der Schar der Kunden und der Touristen verlassen werden. Es war um Mitternacht. Das Getümmel auf der Straße schien nicht nachgeben zu wollen; die Stadt erwachte erst einmal richtig. Getragen von der Brise kroch ein gemischter Geruch von süßen Blümen und gebratenen Hähnchen durch das große Fenster in mein Zimmer hinein. Das war der verlockendste Geruch für ein hungriges Touristchen. Bevor ich rausging, legte ich meine Hand, wie gewöhnlich, einmal auf die rechte Hosentasche und einmal auf die Linke. Alles war dabei: Meine Schlüssel zu meiner kleinen, kurzfristig gemieteten Wohnung, mein fast leerer Geldbeutel und dann noch mein…. kein Handy!  Kein Handy in der Tasche. Kein Handy in den Koffern. Kein Handy in dem Zimmer.

Keine Lüge! Ein ganzes Jahr musste ich ohne Handy zubringen. Es war nicht vorher geplant. Ich sollte mir eigentlich eins kaufen. Aber alles ist anders gelaufen, und dieses wurde zu einem Experiment wider Willen.

Teil 2: Wenn die Zeit sich ausdehnt

Wenn man fünfzehn Stunden wach und unbequem unterwegs gewesen ist, hat man es eilig, sich in irgendein Bett zu tun, um seinen verdorbenen Schlaf nachzuholen. Aber nach meiner Ankunft in Berlin musste ich auch, wie viele Touristen, diese Sehnsucht nach Schlaf und Bett mit roten Augen und gähnendem Mund bekämpfen. Den Kampf verlor ich am dritten Tag gegen 1 Uhr nachmittags. Die Sonne schien mit voller Kraft; der Schatten des riesigen Baumes vor meinem Fenster lag verkürzt auf der Staße, dicht unter des Baumes dunkelgrünem Laub. Die Vögel waren still. Die Luft war still. Ich musste ein Nickerchen machen. Früher hatte ich mein Handy als Wecker benutzt. Aber es war erst der dritte Tag, und ich hatte mir noch kein Handy besorgt. Ich musste mir etwas einfallen lassen, damit mein Nickerchen nicht zu einem Winterschlaf würde. Ich nahm meinen Laptop und ging ins Wohnzimmer. Dort war es kühler; die Decke hing hoch; die Fenster standen weit an einem Ende des Zimmers. Ich legte mich auf das breite lederne Sofa hin, schaltete meinen Laptop ein, und schließ die Augen zu.

Habt ihr schon einmal von “Verbotene Liebe” gehört? Eine deutsche Serie im Internet. Gewiss, nicht die empfehlenswerteste Serie: zu viel Streit, zu viel Liebe; eine echt durchschaubare Sache. Aber der Krach, den der Überfluss an Emotionen entstehen ließ, war das richtige um meinen Schlaf zu stören. So hatte ich es mindestens gehofft, bis ich meine Augen wieder öffnete. Alles war pechschwarz um mich herum. Es dauerte einen Moment bis ich mein Zimmer wieder erkannte. Ich lag auf dem Bett. Es war 3 Uhr morgens. Ein paar Stunden später beim Frühstücken erzählte mir mein Mitbewohner wie er und seine Freundin mich am Abend zuvor, nach dem gescheiterten Versuch mich aufzuwecken, vom Sofa aus zurück in mein Zimmer und auf mein Bett hinschleppen mussten. Dabei hatte die “Verbotene Liebe” auf meinem Laptop getobt und getost. Später an dem Tag entschloß ich meinen Kampf außerhalb der Wohnung fortzusetzen.

Berlin ist grün. Man ist kaum an zwei Blöcken vorbeigelaufen, taucht noch eine andere grüne Fläche auf: Ein Park, eine Wiese, Gras am Rand der Spree. Es war ein Freitag. Am Rand der Spree musste ich aufgeben. Im Schatten eines Baumes  legte ich mich aufs frische Gras hin; Ein paar Kinder schmissen Kieselsteine ins Wasser; ich machte die Augen zu; ich vernahm noch das stumme Gemurmel der Bars und der Restaurants auf der anderen Seite der Straße. Ich schlief ein: Wenn man kein Handy hat, drängt nichts.