Die Welt um uns (Eine Aufforderung)

Ich schaue mich um...

Es ist unglaublich, wie man die Welt um sich gar nicht bemerkt. Versunken in den eigenen Gedanken, oder viel öfter in der künstlichen Welt der sozialen Medien, schleppen wir unsere Körper herum ohne aufzublicken. Dabei sehen wir die Schönheit um uns nicht, die uns die Welt täglich anbietet und unser Leben schmückt. Die Welt fühlt sich deswegen von uns vernachlässigt – sie will Aufmerksamkeit!

Ich habe einmal gesehen, wie zwei Freunde vorbei aneinander gebummelt sind, bloß weil sie fest auf ihre Handys schielten. Freundschaft ist eine wichtige Schönheit dieser Welt und solch eine Begegnung zu verpassen ist wirklich schade. Ja, wir scheinen, dank der sogenannten „sozialen“ Medien, mehrere Freunde wie je zuvor zu haben – aber wie, wenn diese Freundschaften unseren eigentlichen Verhältnissen zu der realen Welt und zu den Gefährten, die mit uns diese Welt erleben, schaden? Wir sind von der Möglichkeit besessen, mit Bekannten in der Ferne zu kommunizieren aber vergessen dabei die Nähe unserer Welt.

Nicht zu sagen, dass solche Arten von Technik schlecht sind; das lasse ich Albert Einstein für mich tun: „Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technologie unsere menschlichen Interaktionen übertrifft. Die Welt wird eine Generation von Idioten bekommen.“ – ich bin aber doch kein Luddit. Wir müssen nur der Technologie einen passenden Platz finden und es sichern, dass sie unserer m e n sch l i ch e n Gesellschaft nicht schadet.

Ein vernetztes Leben ist genau das – ver n e tz t, gefangen im selben Netz, die uns ermöglicht, so weitreichende aber unmenschliche Verhältnisse aufzustützen. In diesem programmierten Spinnennetz fühlen wir den Wind der Flüchtigkeit wehen aber werden nicht davon mitgetragen. Der Schreck, der uns beim Annähern der Spinne durchströmen sollte, wird als Vergnügen empfunden, als die Spinne uns mit ihrem süßen Gift besänftigt und in ihre Spinnfäden verschlingt.

Eine Welt der lieben Kleinigkeiten wartet darauf, entdeckt zu werden, aber wir ignorieren sie. Jeder Moment, den wir von uns schleudern lassen, ist einer, den wir nie erleben werden. Die kurze Zeit, in der das kleine menschliche Leben sich aufspielt, ist viel zu kurz, blind und ungenossen verschwinden zu lassen. Wir müssen das Netz zerreißen und das flüchtige Leben aufholen!

Damit meine ich aber nicht, dass wir alles aufnehmen sollen. Unsere Augen sind zwei Linsen genug; wir müssen nicht die Linse einer Kamera zwischen uns und der Welt setzen. Ein Bild sagt vielleicht doch tausend Worte, aber ein Moment sagt Tausende mehr, die ohne Sprache ihre Geheimnisse verschweigen. Durch Sprache allein kann etwas Schönes zu einer Geschichte werden und über den Rahmen der Zeitlichkeit hinausfliegen. Ein Foto bleibt genau das, was es ist: ein Abbild. In Sprache lebt die Welt weiter.

Lasst den Blick schweifen! Das ist die allergrößte Aufforderung des Lebens. Ich habe nur vor kurzem damit angefangen; ich befreie mich vom Tunnel, in dem meine bisherige Existenz verging, und blicke mich zum ersten Mal um. Ich schaue mich um und sehe Wörter – nein, Worte – die darauf warten, geschrieben zu werden. Als ihr meine kommenden Kolumnen lest, wird die gewöhnliche Welt in Handlungen des Fantastischen verwandeln. Ich hoffe, als Folge dessen werdet ihr auch eure eigenen Schönheiten entdecken – und erfinden. Sie werden bestimmt anders sein als die meinen.