Kunst und Abenteuer: Immer noch zusammen und zuhause in Kreuzberg

Störung, Stadt, Gestaltung

Neben dem Mariannenplatz, mittendrin im tiefsten Kreuzberg, in diesem Stadtteil wo unglaublich viele Berliner Geschichten seit lange her nebeneinander wachsen, steht ein sonderbares Gebäude. Wie eine schmutzige goldene Festung bedroht es den grasbedeckten Platz: auf zwei Seiten ragen spitze Türme, und jenseits dieser Zwillingnadeln liegt eine Ausdehnung rätselhafter, verwachsener Höfen, Gärten, und Räumen. Einmal während eines Hagelschauers (wie alle Abenteuer anfangen) fand ich mich innerhalb dieses imposanten Haus. Was drinnen zu entdecken gab, war eine Art kreativer Wiederverwendung, von der man vielleicht mehr über Berlin lernen kann als von jeder Menge Stadtrundgänge, Kunstmuseen oder Spreefahrten.

Diese ausbreitende Anlage ist das Kunstquartier Bethanien. Es ist eine wahre Schatzkiste für kreative, gegenkulturelle Geschichte und Bewegungen in der Hauptstadt, die kostenlose kontemporäre Kunstausstellungen, eine Pantomimenschule, ein Open-Air Kino, ein internationales Forum für Tanzwissenschaft, ausgiebige Kunstwerkstätte, und ein Zuhause für unzählige andere interdisziplinäre Kunstprojekte anbietet. Die Fluren sind wie die Seiten eines Comic-Strips und in den Gärten verstecken sich vergessene Skulpturen und Blumenkisten.

Das Komplex wirkte als Krankenhaus bis 1970, wann es für Demolition vorgesehen wurde. Zum Glück wurde es wegen der Bemühungen Zivildemonstranten gerettet und das Hauptgebäude wirkte danach (bis in die Gegenwart) als Einrichtung für Kiezprojekte und örtliche Veranstaltungen. Ein anderes Gebäude des Komplexes erlebte aber eine umstrittenere Geschichte: das Krankenschwesterquartier wurde von politisch engagierte Künstler anfangs 1971 besetzt, „Georg-Rauch-Haus“ genannt und inoffiziell als Jugendzentrum benutzt—eine Entwicklung, die der Stadt nicht gefiel. In der Zeit war die Hausbesetzung, mit dem Credo des Kommunallebens und –entscheidens, eine menschliche Alternative zu fernen politischen Institutionen und entmenschlichenden kapitalistischen Märkten. Diese Kultur war besonders stark in Berlin und deswegen war die Gegenreaktion zur Polizeirazzia 1972 brisant. Heute wirkt das Haus—trotz vieler Polizeiräumungen—immer noch als (jetzt-legales) Jugendzentrum und Ort für gemeinsames Leben.

Obwohl das Rauch-Haus jetzt sein Platz in der Stadtgefüge gesichert hat, sind ähnliche Kämpfe nicht nur ein Teil der Geschichte. Teile der Tempelhofer Freiheit (ein Flughafen, der in einen Park umgewandelt wurde) wurden von neuen Wohnbauen bedroht, und das bekannte Afro-Karibik Kulturzentrum/Strandbar/Skatepark YAAM wurde gezwungen umzuziehen wegen des Verkaufs vom Spreeufer-Land zu Investoren in dem Megaentwicklunglsprojekt MediaSpree. Sind die Schätze Berlins zum Verkauf geeignet? Wenn wir das Rauch-Haus als Exemplar ansehen, gibt es noch Hoffnung für diese sonderbaren Orte. Wenn das nicht stimmt, wird es ein trauriger Tag für Berlin sein, denn das Herz der Stadt schlägt stark in solchen facettenreichen Räumen.