Die Prinzessin und der Schlüssel

Realitätsbewältigung

Es war einmal ein Mädchen, das mit seiner Mutter und seiner Großmutter in einem kleinen Haus in einem kleinen Dorf wohnte. Soweit das Mädchen sich erinnern konnte, hatte es nur die drei gegeben. Eines Tages, nachdem sie das tägliche Wasser nach Hause brachten, fragte das Mädchen seine Mutter: „Hat Großmutti immer bei uns gewohnt?“

„Großmutti ist seit langem bei uns“, antwortete seine Mutter. „Aber einmal wohnten wir in einem anderen Dorf, nicht weit von hier entfernt. Dort war Großmutti Königin, und wir wohnten in einem großen Schloss.“ „Du bist Prinzessin, Mutti?“ schrie das Mädchen. „Bin ich auch Prinzessin?“ Seine Mutter lächelte schwach: „Du bist sicher die schönste Prinzessin der Welt.“

„Dann warum wohnen wir nicht im Schloss?“ „Das ist schon lange her, mein Kind“, sagte seine Mutter, aus dem Fenster schauend. „Es gibt kein Schloss mehr. Es brannte ab als ich klein war, kleiner als du. Unser Dorf gibt es noch, aber sein Name ist anders. Vieles ist anders—so habe ich gehört, jedenfalls.“ Sie atmete tief. Dann sah sie die Augen ihrer Tochter an und fuhr fort.

„Großmutti hatte nicht genug Zeit, ihre Krone mitzunehmen, als sie das Schloss verlassen musste. Sie hatte aber…“ sie griff hinter ihren Rücken, „…ihren Schlüssel.“ Sie streckte die Hand aus. Das Mädchen schaute den kleinen Schlüssel an.

Für einen Moment schimmerte er. „Ich hätte lieber eine Krone“, murrte das Mädchen. „Ich will keinen hässlichen Schlüssel. Ist er überhaupt noch ein Schlüssel, wenn er keine Türe mehr öffnen kann?“ Seine Mutter wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte. „Geh schon ins Bett, Liebling—du musst noch morgen in die Schule.“

Aber das Mädchen konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht hindurch hörte es den komischsten Donner, den es je gehört hatte. Währenddessen spielte es mit dem Schlüssel. Endlich stand das Mädchen auf. Aus dem Fenster war fast nichts zu sehen: die Straße war von Nebel verhüllt, beleuchtet nur momentan von einem überirdischen roten Blitz. Seine Mutter und Großmutter lagen ganz still, wie verhext.

Nur dann, als es nach draußen ging, sah das Mädchen was den Nachthimmel wirklich blutrot anmalte: ein Drache, feuerspeiend und entsetzlich groß. Das Mädchen schaute zu, wie gelähmt vor Schrecken, als das Drachenfeuer das Haus seines Lehrers traf. Das Gebäude brannte sofort durch.

Der Drache sah das Mädchen an und machte den Mund auf: „Renn, du miese Kreatur! Du hast eine Minute, bevor ich dich koche und fresse.“ Die Minute war fast zu Ende, als plötzlich durch den Nebel eine schimmernde Tür erschien. Das Mädchen zog den Schlüssel aus seiner Tasche heraus und sprang auf die Tür zu. Der Drache spuckte sein Feuer auf es aber hat doch seinen Atem verschwendet. Und die Tür und das Mädchen waren spurlos verschwunden.