Die merkwürdige Geschichte der Irakischen Botschaft in Ostberlin

Störung, Stadt, Gestaltung

Die Schwerkraft des Kiezes (»Kiez« für Berliner heißt der Stadtteil oder die Gegend, in der man wohnt) ist stark in Berlin. Für jede Kraft, die einen Berliner vom Kiez herausziehen will, gibt es eine zweite, doppelt so starke Kraft, die den Berliner in seinem Kiez festhält (dies ist natürlich Newtons vierte und wichtigste Bewegungsgesetz). Aber irgendwann, auch wenn man das vertraute Verhältnis mit den nahen Eckkneipen, Cafés und Parks wirklich schätzt und treu besucht, hat man eine Sehnsucht nach dem Fernen und Geheimnisvollen. Also, ab mit der U-Bahn und irgendwo hinfahren! Aber wohin?

Vielleicht dreißig Minuten nach Pankow, zu einem Ort, den die Deutsche Demokratische Republik immer noch bewohnt, denn kurz nach dem Mauerfall wurde er permanent verlassen. Im Vorort Pankow, im ehemaligen Osten wo zahlreiche ostdeutsche Politiker wohnten, liegt ein Stück des ferneren Nahostens. Hier steht ein unaufdringliches, dreigeschossiges Gebäude, eingebettet zwischen den gut gepflegten Häusern einer ruhigen spießigen Gegend. Vor dreiundzwanzig Jahren funktionierte dieser graue Bau als irakische Botschaft zur DDR. Die zwei Regierungen hatten eine besondere Beziehung, denn Irak wurde 1969 das erste nicht-kommunistische Land, das die DDR offiziell anerkannte. Obwohl diese Beziehung nur zwanzig Jahre dauerte, war das Zeitraum lange genug, eine politisch wichtige Verbindung aufzubauen: es wurde bekannt, dass die DDR Waffen an die irakische Regierung lieferte und dass ostdeutsche Wissenschaftler der irakischen Regierung damit halfen, chemische Kampftaktiken zu entwickeln. Mit dem Anfang des Golfkriegs 1991 und dem Mauerfall verschlechterten sich aber deutsch-irakische Beziehungen und mit Blick auf dem heutigen Stand der Botschaft, scheint es als ob dieser Vorgang schnell geschah.

Drinnen riecht die ehemalige Botschaft nach Moder und den Siebzigern. Gelbe, gerissene Dokumente mit verblassendem arabischem Schrift, Retrotelefone mit schmachtenden Kabeln und leere Mappen liegen überall verstreut herum. Zwanzig Jahre neugieriger Abenteurer hinterließen das Gefühl, dass das Personal schnell fliehen müsste, obwohl das wahrscheinlich nicht der Fall ist. Warum steht das Gebäude seit dreiundzwanzig Jahren immer noch in der Schwebe? Die Faulheit ist eine Antwort. Irak hat eine Botschaft in dem wiedervereinigten Berlin und braucht keine ostdeutsche mehr. Aber die Stadt Berlin gibt an, dass sie keine Befugnis zu dem Grundstück haben und lasst das Gebäude in Ruhe.

Man muss in Berlin gar nicht so weit suchen, um Stellen der Verödung wie diese zu finden. Für manche sind sie Relikte einer vergangenen Zeit, für andere sind sie heutige Symbole einer gleichgültigen Stadtverwaltung und für noch andere sind sie einfach Gelegenheiten, die Funken des Abenteuers zu entzünden.

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