Die Prinzessin und der Wachmann

Realitätsbewältigung

Der ganz in olivgrün bekleidete Mann, der Wachmann der großen eisernen Tür, ließ sein Schwert los und lachte. »Hör zu! Nur einmal erzähle ich dir worum es geht hier im Reich«. Er winkte das Mädchen zu ihm. Das Mädchen warf einen Blick auf die scheinbar unendliche Menschenschlange, guckte die Gesichter, dann schaute es wieder den Mann an. »Aber die Menschen…?« fragte es den Mann. Er schnaubte. »Sie haben nichts anderes vor«.

Es gab nur zwei Stühle vor der Tür. Auf diese setzten sie sich und in diesem Moment, bemerkte das Mädchen, wie erschöpft es war und wie durstig. Sofort bot der Mann dem Mädchen eine Flasche Wein. Niemals in seinem jungen Leben hat es Wein geschmeckt. »Woher kommst du?« fragte der Mann. »Aus dem Dorf. Meine Mutti und meine Großmutti wohnen mit mir auch«. »Weißt du überhaupt wo du bist?« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Was machst du hier? Sprich!« brüllte der Mann. “Ich weiß nicht!” rief es. »Ich wollte nicht gehen. Ich wäre nie gekommen!«

Der Mann hielt für einen Moment inne. Ohne einen Blick auf die leidenden in der Schlange zu werfen begann er zu erzählen: “Ich weiß nicht, aus welchem miserablen Erdloch du herkamst, aber jetzt ist egal, denn du bist an der Grenze des großen östlichen Reiches. Die Eiserne Tür schützt uns vor den Hexen, vor den Wilden und vor allem vor der Plage, die das Reich zerstören würde, hätten wir nicht unseren König und seinen Drachen«. Das Mädchen dachte an den Drachen, der sein kleines Dorf angegriffen hatte, wie das Drachenfeuer mitten in der Nacht das Haus seines Schullehrers in Schutt und Asche gelegt hatte, wie es dem Drachen nur mithilfe des zauberhaften goldenen Schlüssels seiner Großmutter und einer goldenen Tür, die plötzlich aus dem Nichts erschienen war, entkommen konnte.

Der Mann fuhr aber fort: »Einmal, vor Ewigkeiten, gab es in diesem Lande weder König noch Drachen noch Reich. Damals gab es schon dein Volk, aber es war faul und ungesittet. Dann eines Tages, am Vorabend der Geburt seines Sohnes, bekam der König – der Vater des jetzigen – ein Zeichen von seinen Ahnen. Sie befahlen dem König mit seiner Armee und seinem Drachen nach Osten zu gehen, das Land zu erobern und seinen neugeborenen Sohn zum König des neuen Reiches zu machen. Dann würde der Sohn ein Reich erben, in welchem man das ganze Land benutzt, es vernünftig benutzt, in dem alle Dinge, Tiere, und Gemeinen sich dem allgemeinen Wohl unterwerfen. Und so ist es geschehen«.

Das Mädchen fühlte sich unruhig. »Warum denn müssen die Leute hier so lange warten?« fragte es. »Wofür nimmt der Drache Lehrer? Wofür nimmt er Medizinmänner?« »So große Fragen für so ein kleines Mädchen«, sagte der Mann und lächelte. »Merk dir dieses: Vor dem Reich gab es keinen Reichtum. Es gab weder Ordnung noch Wirtschaft: jetzt gibt es beides. Aber alles hängt davon ab, dass alle an ihrer Stelle bleiben, dass miese Gemeinen wie du nie vergessen, dass es das Volk des Westens war, das die Wüste zum Blühen brachte«.

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