Starman in Berlin

Störung, Stadt, Gestaltung

1972. Fernseher wird in einem kleinen Wohnzimmer in einem ungenannten Vorort von London angeschaltet. Vom Bildschirm wird aber kein Tagesschau gesendet, keine Seifenoper, kein Beatles. Stattdessen strahlt ein neues Bild aus, jemand total anderes, etwas total anderes, ein Schock für die komfortablen Eltern, die bequem und befestigt auf dem Sofa sitzen. Dieser Mann—wenn er überhaupt ein Mann ist, wer weiß—ist der Überbringer einer neuen kreativen Epoche, eine Epoche des Glanzes, der Extravaganz, der Umwandlung. Im Vergleich sahen die Rolling Stones und die Beatles einfach alltäglich, sogar zahm aus.

Ohne David Bowie hätten wir durch die Siebziger und Achtziger viel vermisst. Glam-Rock, Performance-Kunst, die kulturelle Kraft der Androgynität und viel mehr kann man mindestens teilweise zu Bowie zuschreiben. Klar ist er bekannt für seine Musik, aber seine transformative Rolle in der Popkultur war mehr als Musiker. Mit seinem Persona im steten Wandel überschritt er Grenzen, die vorher sicher und ewig schienen. Bowie lebte wie auf einer Bühne—er manifestierte die Idee, dass man sich immer neu erfinden kann, dass die Identität nicht etwas Festes ist, sondern etwas formbar und wechselbar.

2014. In einer großen Halle im Martin-Gropius-Bau in Berlin bedeckt sein leuchtendes Bildnis alle Wände. Die Museumsbesucher werden von ihm umgeben – nicht nur von seinem Bild, sondern auch vom seinem Ton und dem von ihm vermittlten Gefühl. Wie kam diese Ausstellung nach Berlin? In den späten 70er Jahren hatte Bowie genug von Los Angeles. Sein Leben war statisch geworden. Die Stadt war für ihn keine Inspiration mehr und er müsste raus von der dortigen Drogenkultur. Er müsste sich neu erfinden. Um einen sicheren Ort zu finden, kam Bowie nach Berlin. Hier, auf einem Insel des Westens in der DDR, war es den Menschen egal, was ein englischer Rockstar mit seiner Zeit tat. Diese Freiheit erlaubte die Saat der Kreativität sich noch mal zu entwickeln. Die „Berlin Trilogy“ umfasste drei der einflussreichsten Albums seiner Karriere, die musikalisch vielfältig und experimentell waren. Bowie kam nach Berlin, um sein Leben zu transformieren, und deswegen kam die jetzt bekannte Ausstellung, »David Bowie Is«, nach Berlin. Staunen und Tränen in der Halle bestätigen die fortgesetzte Kraft seiner Rolle für viele, Berliner und nicht Berliner zugleich.

Ohne David Bowie hätten wir heute viel vermisst. Aber ohne Berlin hätte es uns heute viel an David Bowie gefehlt.

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