Die Prinzessin und der Heimweg

Realitätsbewältigung

»Du bist weit weg von deiner Heimat«, sagte die ältere Hexe dem Mädchen. »Wie würde es dir gefallen, dein Zuhause nochmals zu sehen?«

In der Höhle war es dunkel und leer. In einer Ecke brodelte ein großer Kessel; allein er und die drei Hexen warfen Schatten auf die Höhlenwand. »Aber Sie wissen nicht einmal wo ich wohne!« protestierte das Mädchen. »Doch«, antwortete die Ältere. Dann die jüngere: »Du kommst aus dem Dorf, oder?«

Das Mädchen dachte bei sich. »Aber warum wollen Sie mir überhaupt helfen?« fragte es den Hexen. »Machen Sie so mit jedem Mädchen, das sich halbgefroren im Wald findet?« Die ältere lächelte. »Ich kann sehen, dass wir uns noch besser kennenlernen müssen«, sagte sie. »Wir haben dir bereits erzählt, wie der Drache unseren Wald zerstörte und uns in dieser Höhle trieb. Es gibt noch mehr dazu«.

Das Mädchen wollte gern fragen in welchem Wald die Hexen es gefunden hatten, aber schwieg. Es war nicht sicher, aber dachte, es hörte die Stimme der älteren zu ihm sprechen ohne die Lippen zu bewegen: »Der Schnee bedeckt alles: Grün, Schwarz, Braun, Rot«.

Dann machte die ältere den Mund wieder auf: »Wir sind die schwarzen Hexen. Jahrhunderte wohnten wir Hexen – manche von uns sind nett, wie deine Gastgeber, und manche böse – in den grünen Gegenden dieses Landes. Nimmermehr«. Für einen Moment zögerte sie. »Das Feuer, das uns aus dem Wald vertrieben hat, ist desselbe Feuer, das du mit den eigenen Augen sahst«.

Die ältere hielt inne, während das Mädchen sich besann. Wusste die Hexe, warum es sein Dorf verlassen musste? Kannten sie den roten Blitz, wie es den Himmel unheimlich leuchtete, wie es in Sekundenschnelle das Haus seines Lehrers in Schutt und Asche zerlegte? Endlich schrie es: »Ich kann nicht nach Hause!« Zum ersten Mal seit dem letzten Nacht im Dorf flossen Tränen über sein Gesicht. »Ich weiß nicht einmal, ob es mein Zuhause noch gibt!«

Die jüngere Hexe kam näher. Als sie ihre Hand auf des Mädchens Schulter legte, bemerkte es zum ersten Mal, wie schön sie war. »Gewiss ist der Drache furchtbar«, sagte sie. »Aber er handelt nicht für sich selbst. Aus der entlegene Gegenden dieser Welt kommt noch viel Schrecklicheres als Drachen«.

»Wie der König?« fragte das Mädchen. »Viele Könige habe ich durch die Jahrhunderte hindurch gesehen«, antwortete die jüngere und deutete mit dem Kopf auf die ältere. »Und sie noch mehr. Kraft gibt ihnen nur eines: der Zauber. Kein Zauber aber wohnt irgendeinem König inne. Sie alle herrschen vielmehr kraft des Zaubers der flüssigen Diamanten, welche unter die Erde dieses und anderer Länder stecken«.

Das Mädchen hatte nicht einmal von Diamanten gehört, geschweige denn flüssigen. »Was kann man mit ihnen?« »Mit ihnen kann man alles. Drachen trinken sie. Aus ihnen werden Schwerter geschmiedet, mit denen man den festesten Panzer durchschneiden kann. Mit ihnen kann man ein Reich beherrschen, oder sogar begründen«.

»Und was hat das alles mit mir zu tun?« Die ältere sah das Mädchen bohrend an. »Denn alles, was seine Kraft von außen bekommt, kann entkräftet sein.«

 

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