Das verlorene Glück

Erlebte Geschichten

Man kann alles verlieren.

Für meinen elfmonatigen Aufenthalt in Berlin hatte ich trotz der Warnungen meiner vielgereisten Freunde zwei große Koffer mitgenommen. Sie meinten, es sei höchst unangenehm zwei Koffer hinter sich durch die Stadt herzuschleppen. Ich meinte, ich wolle auf keinen Fall frieren. Also hatte ich meine Koffer mit warmer Kleidung voll gepackt. Die beiden Wintermäntel, aber, ließ ich raus, um ein bisschen mehr Platz in den Koffern zu schaffen.

Es war ein warmer Julitag. Als ich um ein Uhr nachmittags in den Flughafen von San Francisco auftauchte, und mich in die Reihe vor dem Ticketschalter begab, schwitzte ich schon heftig. Ich hatte die beiden Wintermäntel an, trug zwei Koffer, ein Schwarzer und ein Roter, von denen jeder genau dreißig Kilo wog. Noch dazu hatte ich einen Rucksack mit allerleien Wörterbüchern vollgestopft. Zwanzig Stunden später landete ich in Berlin… Der schwarze Koffer fehlte.

Was für ein Glück! Aber nein, natürlich war das nicht mein erster Gedanke. Wie alle »Verlierer«, verspürte ich auch diese plötzliche Leere, diese sich rasch ausbreitende Leere, die den Mut versenkt. Und die verspürte ich genau in den Moment, als es mir klar wurde, dass der schwarze nicht auf dem Kofferband erscheinen würde. Erst später überkam mich das Glück, als ich die vielen Bahnstationen und Bushaltestellen, die den Flughafen von meinem WG-Zimmer trennten, zurürckgelegt, und meinen Koffer samt allen meinen anderen Sachen vier Stockwerke hochgeschleppt und in eine Ecke neben dem Fenster meines Zimmers hingestellt hatte. Was für ein Glück! Was für ein Glück, dass der andere Koffer verloren gegangen war! Ich hätte es nie geschafft, zwei Koffer durch die Stadt mit herzuschleppen!

Dieses Glück, dieses Behagen entfloh mir schneller als ich es gewollt hätte. Denn der schwarze Koffer enthielt nicht nur meine besten Pullis und Fliegen, sondern auch meinen Laptop. Es war wegen der Wörterbücher, die ich unbedingt mitnehmen wollte, dass ich in letzter Minute den Laptop aus dem Rucksack ausholte und noch zwei Wörterbücher hineinsteckte. Nun war auf einmal die Leere wieder da und noch größer und breiter als früher, im Flughafen. Ich kannte die Stadt nicht; ich kannte niemanden in der Stadt; und mein Austauschprogramm an der Uni würde erst in eine Woche anfangen. Zum Glück war mein Mitbewohner ein freundlicher, zuvorkommender Amerikaner, Peter.

Sobald er meine Verzweiflung bermerkte, bot er mir seine Hilfe an. Er versteckte kaum sein Erstaunen über meine Entscheidung den Laptop in den Koffer zu tun, aber versicherte es mir, dass alles wieder gut werden würde. Am nächsten Tag rief er mit seinem Handy meinen Programmleiter an der Uni an. Danach fuhren wir mit seinem Auto zur Uni, wo man mir half, die Fluggesellshcaft zu kontaktieren. Ich bekam meinen Koffer innerhalb von drei Tagen. Zum Glück brauchte ich nicht damit durch die Stadt zu laufen; ich fuhr mit Peter, um meinen Koffer zu holen.

Aber was für ein Pech, dass dieser Winter so unglaublich mild, sogar warm war!

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