Wurzeln

Ich schaue mich um...

Den Boden spürte er auf seinen Fußgewölben. Es gab nur das kleinste bisschen Festigkeit und er war davon beunruhigt. Nur mit Schwierigkeit konnte er den Fuß heben, mit noch tieferer Beunruhigung, die an das Grauen grenzt, bemerkte er Wurzeln, die auf seinen Füßen wuchsen. Die blanken Füße wollte da an der Stelle bleiben, wo sie waren. Dafür war er noch nicht bereit, nein, bitte jetzt nicht.

Ein Beil lag nur einige Meter von ihm; die Wurzeln mussten weg. Er riss seine Füße vom Boden und daraus knackten brechende, zerstückelnde Wurzelstämme. Das Zupfen schlich tief in seine Haut, während er sich in Richtung Beil bewegte. Aber bald wurde ein riesiger Widerstand, er blickte nach unten und fanden die Zehen des einen Fußes fest eingepflanzt. Er zog, sprang, stieß – alles unnütz. Außer seiner Reichweite stand das höhnische Beil und lachte über’s ganze schillernde Gesicht. Mit jedem Zug in dessen Richtung sprang das spitze Werkzeug auch noch einige Schritte zurück.

Jede Bewegung fiel ihm noch schwerer. Er gebärdete sich wie toll aber kam kein Stückchen weiter. Wenn er sich nur ausstrecke, ganz und gar ausdehne, gelinge es ihm, das verdammte Ding zu ergreifen. Sich hinlegend kroch er auf allen vieren aber stieß nun wieder auf den Gegendruck des rechten Fußes. Den verbog er, nach Befreiung suchend, und hörte einen fern klingenden Schrei hinter einem krachenden Vorhang. Der Anstrengung zufolge wurde es ihm schwindelig; aus dem Fußgelenk krachten Blitzschläge durch Haut und Sehne, von einer schleimigen Wärme begleitet. Aber das Beil musste er haben, das Bein schoss vorwärts. Es stellte sich heraus, dass das andere sich nicht mehr bewegte, jede Berührung mit dem Boden trieb weiteres Gewachs aus seinen Poren. Eine überwältigende Müdigkeit brach über ihn.

Da liegen bleiben zu müssen, es war noch zu früh dafür! Wenn er seinen Arm ausstreckte, war das Beil auf den Fingerspitzen zu fühlen. Richtig greifen konnte er es aber nicht, es lehnte sich lässig auf einen abgehacken Stamm und lachte über ihn, weil es wusste, wie alles vergebens war.

Mit bebendem, verzweifeltem Eifer gab er tierische Laute von sich, er richtete sie an einen tauben Gott. Er bibberte, Geifer besudelte seine Lippen und Tränen liefen ihm über die Wangen. Und nach einem Augenblick, nach einem linken Versuch, das Beil zu packen, sank seine Brust vor Erschöpfung zur Erde. Seine Finger bohrten in den Dreck, wuchsen hinein, und mit einer schläfrig jähen Bewegung riss er die linke Hand daraus. Ein Strahl ging ihm durch Arm und Nacken, dehnte sich im Schädel aus und zerquetschte jeden verständlichen Gedanken. Er heulte auf und sah seine Umgebung verschwimmen. Von irgendwo her bespritzte Blut sein vor Schmerz verzogenes Antlitz und er zuckte. Der Kopf fiel schwer, er wühlte in den Dreck herum und warf seine abgebrochenen Finger gegen Himmel. Wellen blendender Wut leckten seine Knochen und träufelten in Strömen aus den Augen.

Durch diese in sich abgeschlossene Welt drängte sich ein lehmiger Nachgeschmack. Von der Zunge in die Luftröhre glitschte der Dreck und erwürgte ihn, er spuckte, rückte die Masse heraus aber es strömte wieder hinein. Die Augäpfel drehten sich und der wassrige Blick fing den silberen Glanz des Axtrückens gierig auf, während die Erde seinen verstümmelten Leib verschlang. Ein zitternder Finger ruhte noch auf dem Beilgriff, tätschelte ihn, bevor er still lag. Er sah, wie sein Körper zusammenzuckte und der letzte Atemzug schob ihn von der Leiche in die eisige Luft. Ein Windstoß fegte durch den letzten, hoffnungsvollen Gedanken an Erlösung.

Bei Einbruch der Morgendämmerung wurde ein Mann, in unerklärlicher Weise schwer verletzt, auf einem Acker für tot befunden.

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