Jute Story

Störung, Stadt, Gestaltung

Es geht um „Marcos Tomatina“. So heißt die Kurzgeschichte, die gedruckt auf meinem Lieblingsbeutel steht. Wer Marco ist, und was genau diese „Tomatina“ mit ihm zu tun hat, wurde in dieser witzigen Kurzgeschichte beantwortet. Ja, heute geht es um „Marcos Tomatina“ aber ich werde dir nicht erzählen, wie Marco der kleinen Tomatina am „Mehringplatz“ in Berlin in seinem Traum begegnet hat. Diese Geschichte kannst du gerne auf meinem Beutel lesen, denn es steht schon dort, lesbar für alle neugierige Zuschauer, und hat ihre Bedeutung nur wegen diesem Kontext. Wenn diese Situation stattfände, wenn ich deine neugierigen Augen auf meinem Beutel sähe, würde ich dir sagen: „ich habe eine Geschichte für diese Geschichte getauscht“. Mit deiner steigenden Neugier und deiner Verwirrung hätte ich dann die Möglichkeit, dir die folgende Geschichte aus Berlin zu erzählen.

Im nordwestlichen Teil Kreuzbergs liegt seit 1730 ein lebender Kreis. Er heißt „Mehringplatz“. Seit 1843 wurde er von einer geflügelten Siegessäule gekrönt, die in dem vielveränderten Kreis noch steht. Ein richtiger Brennpunkt der Nachbarschaft, finde ich: Geschäftsreihen umkreisen die Säule und ein Markt findet täglich in der nähe statt. Findet die Stadt Berlin auch, denn sie haben dieses Kiez als „sozialer Brennpunkt“ genannt.

Hier am Mehringplatz entwickeln sich viele Herausforderungen. Das Kiez hat manche seit Jahrzehnten bleibenden EinwohnerInnen, aber in den letzten Jahren ziehen auch viele neue Gesichte ein, besonders Migranten. Die neue EinwohnerInnen begegnen manche Schwierigkeiten in ihrer neuen Heimat, z.B. Bildungsungleichheit, Arbeitsdiskriminierung, und Sprachprobleme. Diese Herausforderungen verhindern teilweise die wirtschaftliche Entwicklung des Quartiers, aber die Kreativität und das Federn der EinwohnerInnen von Mehringplatz ist trotzdem deutlich zu sehen, in den vielen Geschäften, Büros, und Märkte die dem Quartier bewohnen.

Die Stadt unterstützt diese fruchtbare Gemeinschaft mit Ressourcen für Programmen wie regelmäßige Feste und viele andere Initiativen, die Gemeinschaft und Wirtschaft ernähren—ein „Kids im Kiez“ fotographisches Projekt, interkulturelles Backen, veröffentliches Yoga, Fußball-Turnieren, Berufsorientierung, Sprachprogrammen, usw.

Zwei Werkstätte unterstützen insbesondere die kollektive Durcharbeitung von Gemeinschaftspezifischen Herausforderungen: MadAme Mehringplatz, was auch ein Café enthält, und das Community Now Lab, das sich auf Forschung für die Gemeinschaft konzentriert. Beide knüpfen EinwohnerInnen miteinander und laden sie ein, die Probleme ihrer Gemeinschaft zu diskutieren und lösen.

Besonders wichtig sind deswegen die Erfahrungen von den EinwohnerInnen, nicht die Ideen von der Stadt oder von Außenseitern, die helfen wollen. Ein Projekt versteht dieses Konzept sehr gut. Es heißt „Jute Story“ (ein Wortspiel, denn „Jute“ bezieht sich auf dem Stoff, von dem die Beuteln genäht werden, aber ist auch Berliner Dialekt für „Gute“) und ladet EinwohnerInnen ein, ihre eigenen Erfahrungen oder Geschichten mitzuteilen, die dann auf einem Beutel gedruckt werden. Und um einen Beutel zu bekommen, muss man kein Geld zahlen. Man muss nur eine eigene Geschichte vom Mehringplatz mitteilen. Der Austausch von Erfahrungen und Geschichten, nicht Geld, baut eine Gemeinschaft auf. Mein Lieblingsbeutel erinnert mich immer daran, dass ich in diesem Austausch teilgenommen habe. Ich werde immer die Geschichte von „Marcos Tomatina“ schätzen und meine Erfahrung wird immer ein Teil von Mehringplatz sein.

Jute Story, oder?

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*